Heute mal wieder eine politische Stilkritik, meine Damen und Herren, die lesen Sie ja immer besonders gern, wie Ihre begeisterten Zuschriften mir zeigen. Es geht um Herrn Steinbrück, den Kandidaten der deutschen Sozialdemokratie für das dortige Bundeskanzleramt. Der hat sich durch seine Unbeholfenheit, die manche fälschlicherweise für Unverblümtheit halten, mal wieder blamiert und wurde vom italienischen Staatspräsidenten nicht nur abserviert, sondern auch noch öffentlich gerügt. In Berlin. Weil er die Sieger der Wahlen in Italien als «Clowns» tituliert hatte; Sie kennen die Story.
Steinbrück ist selbst ein Clown, wenngleich ein trauriger. Er ist eine fleischgewordene Parodie: der furchtbare Deutsche. Legendär ist jene Episode, wie die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher nach einem Staatsbesuch in Deutschland sich im Flugzeug die Schuhe abstreifte und erklärte: «My God, that man is so German!» Sie meinte Helmut Kohl, diesen ewigen Kanzler der deutschen Christdemokraten, Vorvorgänger von Frau Merkel. Er teilte in der Tat ein paar Eigenschaften mit Peer Steinbrück, die man im taktvolleren Ausland, zum Beispiel im Vereinigten Königreich oder auch in der Schweiz, an den Deutschen furchtbar findet: mangelndes Bewusstsein für die eigenen Unbeholfenheiten oder Trampligkeiten zum Beispiel, ganz vorneweg.
Älter als Breschnew
Im Gegensatz zu Steinbrück verfügte Kohl über authentische Unerschütterlichkeit. Es war ihm in der Tat egal, was Blätter wie «Der Spiegel» über ihn schrieben. Kohl war ausserdem konsequenter als Steinbrück und, auch auf dem Zenit seiner Macht, weniger geltungssüchtig. Kohl verfügte stets über Abstand zu sich selbst. Auch nicht über allzu viel, aber mehr als Steinbrück, denn Steinbrück hat eine Selbstdistanz von null. Kohl ist, was er ist, und war, was er war, und wollte nie etwas anders sein. Peer Steinbrück aber möchte gerne weltgewandt sein und scharfzüngig und irgendwie Connaisseur und sich mit Wein auskennen, was in seiner Sphäre als Inbegriff des Weltläufigen gilt, – doch er kennt, um Oskar Wilde zu paraphrasieren, von nichts den Wert und von allem bloss den Preis. «Typical middle class», würde der Engländer sagen. Dazu passt, dass Steinbrücks Horizont etatistisch und bürokratisch ist und wesentlich beschränkter als der von Helmut Kohl, der gegen Ende seiner Amtszeit richtig visionär wurde. Steinbrück aber ist jetzt schon so alt wie Kohl gegen Dienstende. Er ist der älteste Kanzlerkandidat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und heute bereits zehn Jahre älter als seinerzeit beispielsweise Leonid Breschnew bei seinem Antritt als Staatschef.
Neulich wirkte es auf einem Pressefoto zu allem Überfluss auch noch so, als hätte der Peer seitlich eine Zahnlücke. Ob das nun so ist oder war oder nicht – seine Zähne sehen furchteinflössend aus und wären beispielsweise für einen US-amerikanischen Kandidaten unvorstellbar. Da kriegen selbst Tiefseefische Angst. Now, don’t get me wrong, ich bin froh, dass ein Kanzlerkandidat in einer der wichtigsten Wirtschaftsnationen der freien Welt solche Zähne haben kann, das beruhigt mich irgendwie, das ist ja hier kein Beauty Contest. Man wundert sich zwar ein wenig, wieso niemand ein offenes Wort mit den Betroffenen spricht, aber das ist eher ein Taktproblem. Das Wahrnehmungsproblem hingegen liegt ganz woanders: Selbst Gegner und Kritiker bescheinigen Herrn Steinbrück, er verfüge über Schlagfertigkeit, Eloquenz und gar Humor. Doch das ist falsch. Peer Steinbrück ist weder originell noch beredt. Seine Modulation ist unangenehm, seine Diktion ungelenk, seine Bilder sind abgeschmackt und passen oft nicht richtig. Bisweilen sind sie auch noch indianerfeindlich, was seltsamerweise noch niemand richtig gemerkt hat. Das ist der schnarrend-näselnde Ton des mürrischen deutschen Studienrats im Ruhestand, der mit runtergezogenen Mundwinkeln am Frühstücksbuffet des Studiosus-3-Sterne-Hotels nach mehr Rührei verlangt. Das ist der Habitus des alten Knackers, der die Faust ballt, und man weiss nicht genau: Schüttelt er sie oder zittert er bloss?
Wenn das deutsche Humormanko ein Gesicht hätte, dann eins wie Stefan Raab
Dass man in Deutschland Schwierigkeiten hat, Humor zu erkennen, gerade auch in der politischen Auseinandersetzung, hat Tradition und ist nicht verwunderlich. Humor wird in Deutschland – und tendenziell im deutschsprachigen Raum überhaupt – vor allem materiell, also inhaltlich verstanden. Er gilt als Beruf, als ein Fach; nicht als Haltung, nicht als Form des Auftritts und Ausdrucks, wie in der angelsächsischen Sphäre. Dort nämlich bedeutet Humor vor allem Distanz, also Gelassenheit in allen Sparten, auch der politischen; Besonnenheit in der Form des ironischen Abstands zum Leben und zu den Dingen – und vor allem zu sich selbst. Humor in dieser Form ist eine Eigenschaft, die eine Persönlichkeit ausmacht, und nach Persönlichkeiten auf dem Feld der Politik gibt es allenthalben eine Sehnsucht, was unter anderem ein Grund für die andauernde Bewunderung von Margaret Thatcher ist, der Urheberin des Ausspruchs: «I am extraordinarily patient, provided I get my own way in the end.»
Eine derartige Äusserung würde im konfliktscheuen Deutschland vermutlich als Rücktrittsgrund durchgehen, jedenfalls ihren Urheber politisch desavouieren. Humor als Haltung lebt von der Differenz, er setzt Provokation und Unterschiede voraus – doch in der heutigen Bundesrepublik mit ihrer leicht obsessiven Fixierung auf Verteilungsfragen und vermeintlich gleichmachende Gerechtigkeiten pflegt man wie gesagt ein anderes Humorverständnis, nämlich das von Humor als Profession und Disziplin. Das führt dann dazu, dass «Komik» ein hermetischer Bereich wird, wo schmerbäuchige Verlierertypen offenbar Stadien füllen. Oder homophobe Bonanzarad-Trottel oder grinsende schwule Backpfeifengesichter paradoxe Trophäen wie den «deutschen Comedy-Preis» kassieren. An dieser Trennung ändert sich auch nichts, wenn irgendeine Knallcharge des Privatfernsehens, zum Beispiel Stefan Raab, jetzt das TV-Kanzlerkandidaten-Duell mitmoderieren soll. Wenn das deutsche Humormanko ein Gesicht hätte, dann eines wie Stefan Raab. My God, that man is so German. Inklusive Zähne. Da kriegt selbst Grace Jones Angst.
Und dann gibt es natürlich, wie immer im deutschsprachigen Raum, den sogenannten gehobenen Anspruch. Den bedienen im Fach Humor zum Beispiel sogenannte Kabarettisten, die spätabends auf 3sat ihre entbehrlichen Privatmeinungen und Erlebnisse beim Ikea-Einkauf als Pointen anbieten. Und dann wäre da selbstverständlich noch Loriot. Die Deutschen lieben Loriot, ungefähr so wie sie höchstens noch Helmut Schmidt lieben, den Vorgänger Helmut Kohls und Ernenner von Peer Steinbrück, egal, was er für Mist über China erzählt; sie lieben Helmut Schmidt genau so herzlich wie sie ihn früher, als Kanzler, nicht mochten. Ungefähr so, wie sie heute Gerhard Schröder, den Nachfolger Kohls, nicht sehr mögen, obschon es Schröders Wirtschaftspolitik massgeblich zu verdanken ist, dass Deutschland einigermassen glimpflich durch die Euro-Krise kam. Loriot aber wurde schon lange vor der Euro-Krise ziemlich belanglos und redundant und vor allem wurde er das, was er vorher ironisiert hatte: ziemlich deutsch. Seine Kinofilme sind langweilig und bieder wie eine Sparkassenfiliale im Sauerland. Peer Steinbrück findet die sicher köstlich. Oder sagt es jedenfalls, wenn man ihn fragt.